Strukturelle Veränderungen seit 1970

Spätestens mit den 1970er-Jahren vollzieht sich in der Industrie ein grundlegender Strukturwandel: Klassische Mechanisierung und Kapitalintensivierung verlieren ihren Stellenwert, stattdessen rücken Flexibilität, Spezialisierung und Kundennähe in den Mittelpunkt. Betriebe konzentrieren sich auf ihre Kernkompetenzen, während andere Funktionen an industrienahe Dienstleistungsunternehmen ausgelagert werden. Mit dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ und dem Entstehen neuer, lukrativer Arbeits- und Produktionsstätten kommt es verstärkt zu einer Verlagerung von Betriebsteilen ins Ausland, das bezüglich der Fertigungskosten in vielen Fällen deutlich wettbewerbsfähiger ist.

Diese und weitere Faktoren führen dazu, dass im Verlauf der 1990er-Jahre die Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe in ganz Deutschland, auch in FrankfurtRheinMain, deutlich zurückgeht. Nicht ausreichend wahrgenommen wird, dass seit Beginn des 21. Jahrhunderts die Industrie wieder wächst. Waren 2008 noch knapp 347.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in den Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes der Metropolregion tätig, waren es 5 Jahre später bereits 357.000 Beschäftigte. Gerade in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 erwies sich die Industrie als wichtiger konjunktureller Stabilisator. Bis zur Covid-19-Pandemie stieg die Beschäftigung in der Industrie in FrankfurtRheinMain kontinuierlich weiter an und erreichte zum 30. Juni 2019 einen Beschäftigtenstand von 384.661 Personen.

Im Zuge der Pandemie kam es zwar zu einem Beschäftigungsabbau, doch mit knapp 366.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten lag das Beschäftigungsniveau in der Industrie im Jahr 2021 noch immer deutlich über dem Niveau von 2015.

„Netzwerk Industrie“: Rolle für die Region

Die Metropolregion Frankfurt­RheinMain profitiert von ihrer industriellen Vielfalt. Gemessen an der Beschäftigtenzahl, sind die industriellen Leitbranchen Maschinenbau, ­ Elektroindustrie, Fahrzeugbau, ­ Lebensmittelindustrie, Metallindustrie, Pharmaindustrie sowie die chemische Industrie. Zahlreiche Weltkonzerne haben in unserer Metropolregion ebenso ihren Sitz wie mittelständische „Hidden Champions“.

Die Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes sind eng mit zahlreichen Dienstleistungsunternehmen verflochten. Aufgrund der strukturellen Veränderungen ist eine „saubere“ statistische Trennung zwischen Industrie und Dienstleistungen nicht mehr möglich; vielmehr lässt sich besser von einem „Netzwerk Industrie“ aus verarbeitendem Gewerbe und industrienahen Dienstleistern sprechen. Auch Handwerksunternehmen und Unternehmen des handwerksähnlichen Gewerbes, meist kleine und mittelständische Unternehmen, sind Teil des verarbeitenden Gewerbes und damit Teil dieses Netzwerks Industrie. Innerhalb von FrankfurtRheinMain sind derzeit fast 1,2 Millionen Personen im Netzwerk Industrie sozialversicherungspflichtig beschäftigt – und damit nahezu jeder zweite Beschäftigte.

Multiple Krisen erhöhen Veränderungsdruck

Das verarbeitende Gewerbe ist wesentlich für Wachstum und Beschäftigung auch im Dienstleistungsbereich – und umgekehrt führen Innovationen aus dem Dienstleistungssektor zu Wachstumsprozessen in der Industrie. In den vergangenen Jahrzehnten wurde der Strukturwandel in der Industrie vor allem durch Innovationen in der Informationstechnik, speziell durch die Entwicklung des Internets sowie die Speicherung von Daten, erheblich beschleunigt, und durch den zunehmenden Einfluss der Digitalisierung auf Wirtschaft und Gesellschaft entstanden und entstehen vielfältige neue Geschäftsmodelle und Geschäftsprozesse. Die sogenannte Industrie 4.0 verändert die industrielle Produktion des 21. Jahrhunderts nachhaltig. Auch durch die neuen technologischen Möglichkeiten verändern sich die Standortanforderungen und urbane Produktion gewinnt wieder zunehmend an Bedeutung.

Nur sehr selten in der Geschichte seit der Industrialisierung war die Wirtschaft in so kurzer Zeit derart massiven Veränderungen ausgesetzt. Zum Jahresbeginn 2020 nahm die Covid-19-Pandemie ihren Anfang und führt bis heute weltweit zu Störungen der Produktion und Lieferketten. Am 24. Februar 2022 überfiel die russische Armee den souveränen Staat Ukraine, was ebenfalls bis heute mit unerträglichem Leid für die Menschen dort und mit weiteren negativen Folgen für die Weltwirtschaft verbunden ist. Und schließlich unterstrich der Sommer 2022 eindrücklich, dass der menschengemachte Klimawandel bereits weit fortgeschritten ist.

Standort und industrielle Vielfalt stärken

Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise und Versorgungsunsicherheiten, anhaltender Arbeits- und Fachkräftemangel, unzureichende digitale Infrastruktur, fehlende Unterstützung für notwendige Transformationsprozesse, unzureichendes Angebot an Industrie- und Gewerbeflächen sowie vergleichsweise hohe Umweltstandards und Umsetzung immer neuer gesetzlicher Vorschriften im Kontext eines von Protektionismus geprägten Welthandels und einer steigenden internationalen Wettbewerbsintensität – das sind einige der Faktoren, die rund 400 Unternehmen in einer Umfrage, die ihm Rahmen der PERFORM-Studie durchgeführt wurde, als die größten Herausforderungen für das „Netzwerk Industrie“ und den Industriestandort FrankfurtRheinMain genannt haben.

Alle Ergebnisse zu den Herausforderungen der Unternehmen sowie konkrete Handlungsempfehlungen an die Politik, wie diese die Rahmenbedingungen erheblich verbessern und damit die industrielle Vielfalt, die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes und den Wohlstand unserer Metropolregion langfristig stärken kann, erhalten Sie mit dem kostenfreien Download unserer Studie.

Die Studie zum Industriestandort FrankfurtRheinMain wurde im Jahr 2022 von der IHK Frankfurt am Main im Auftrag von PERFORM erstellt.

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Joris Smolders, Innovation und Umwelt, IHK Frankfurt am Main

Joris Smolders

Innovation und Umwelt, IHK Frankfurt am Main
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